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Entlassungsfeier 2008

Rede des Schulleiters zum Abschluss der 10er Klassen am 23.06.2008

Nach der Begrüßung:
„Gelogen, betrogen und doch nicht geflogen“, so war euer Abschlussstreich überschrieben.

Wie dieses Motto zu euch und eurer Schulkarriere passt, kann ich beim besten Willen nicht erkennen. Ich möchte stattdessen ein abgeändertes Bibelzitat an den Anfang meiner Rede stellen: Frei nach dem Buch Daniel  (Dan, 5, 26-28) sage ich:

Gezählt sind die Tage eurer Schullaufbahn an der Anita-Lichtenstein-Gesamtschule, gewogen wurdet ihr durch die Waage der Zentralen Prüfungen und ihr wurdet als nicht zu leicht befunden. Dennoch werdet ihr geteilt,  denn während ein Teil von euch eine weitere Laufbahn in der Sekundarstufe II der ALG anstrebt, werden andere die Schule verlassen und in einer Ausbildung oder am Berufskolleg ihren weiteren Weg gehen. Die Abiturientia dieses Jahres hatte ihren Abschlussstreich unter das Motto „Abi on stage“ gestellt und in der Tat hat das diesjährige Abitur in bislang ungekannter Weise das Interesse der Öffentlichkeit erregt. Die Zentralen Prüfungen am Ende der Jahrgangsstufe 10 sind dagegen ohne Widerhall geblieben, es sei mir daher gestattet, die Ergebnisse dieser Prüfungen hier an der ALG etwas näher zu beleuchten.

Nicht ohne Stolz darf ich heute sagen, dass noch nie vor euch ein Jahrgang so tolle Abschlüsse erreicht hat. Bei 108 Schülerinnen und Schülern, die sich den Zentralen Prüfungen unterworfen haben, haben 46 eine Fachoberschulreife mit Qualifikationsvermerk für die gymnasiale Oberstufe erreicht. 32 von euch haben die Fachoberschulreife geschafft und für 29 Schülerinnen und Schüler gibt es den Hauptschulabschluss nach Klasse 10. Nur ein einziger Schüler muss sich mit dem Hauptschulabschluss nach Klasse 9 begnügen.Diese Zahlen sagen aber nicht wirklich etwas darüber aus, was ihr geleistet habt und wozu euch eure Lehrerinnen und Lehrer in den letzten Jahren angeleitet haben. Viel interessanter ist da schon der Blick darauf,  welche Beziehung denn zwischen euren damaligen Grundschulempfehlungen und den heutigen Abschlüssen besteht. Ich bin als Schulleiter dieser Schule froh und glücklich sagen zu dürfen, dass genau die Hälfte von euch einen Abschluss erreicht hat, den man ihr bzw. ihm vor sechs Jahren nicht zugetraut hat. Zu diesem Erfolg gratuliere ich euch und uns herzlich. Ich greife an dieser Stelle noch einmal das Abi-Motto auf: So, wie die Leistung des Stars auf der Bühne nicht möglich wäre ohne all die Personen im Hintergrund, so ist euer Erfolg nicht allein euer Verdienst. Wie Kabelträger, Beleuchter und Maskenbildnerin beim Fernsehen dafür sorgen, dass der Star sich gut präsentieren kann, sind im System Schule viele daran beteiligt, dass so schöne Leistungen wie in diesem Jahr möglich sind. Hausmeister, Reinigungskräfte und Sekretärinnen schaffen die Basis für „eure Auftritte“.

Wo DJ Soest Jungstars Tanzschritte lehrt oder Heidi Klum angehenden Modells die richtigen Schritte beibringt, sind es hier meine Kolleginnen und Kollegen, die euch auf euren Schulabschluss hin vorbereitet haben. Ihnen allen sei für ihre Arbeit und ihr Engagement herzlich gedankt Dies ist auch die Stelle, meinem Kollegium zu danken. Korrekturen, Zweitkorrekturen und die Vorbereitung und Durchführung mündlicher Prüfungen  haben viele bis an die Grenze belastet, zumal das Zentralabitur und die Lernstandserhebung in Klasse 8 ebenfalls in die Zeit der Zentralen Prüfungen fielen. Ihnen allen sei für ihre Arbeit und ihr Engagement gedankt. Ein besonderer Dank gilt den Klassenlehrerinnen und Klassenlehrern, Frau Voßkämper für die 10.2, Frau Friedrichs für die 10.3, Herrn Dr. Kerkhoff für die 10.1 und - last but not least - Herrn Dr. Cüpper für die 10.4. Der diesjährige Abistreich erinnerte – sicher nicht zufällig – an eine Castingshow, wie sie seit einigen Jahren zum festen Bestandteil der Fernsehunterhaltung gehören. „Abi on stage“ hieß es da. In dieser Terminologie gilt  mein weiterer Dank Jörg Gaab, der „backstage“ die Fäden in der Hand hielt.
Und wie bei Castingshows, so ist auch bei unserer Arbeit hier immer wieder zu beobachten, wie wichtig die Unterstützung durch das Elternhaus ist. Erlauben Sie mir daher, liebe Eltern, Ihnen für Ihren Einsatz und für Ihr Vertrauen in unsere Arbeit zu danken. Bleiben Sie uns gewogen!

Meine Rede könnte nun den Eindruck erwecken, dass es an der ALG einseitig um intellektuelle Leistungen geht. Natürlich sind diese integraler Bestandteil schulischer Arbeit. Aber in meinem Verständnis von Bildung kommen zwei weitere Aspekte hinzu. Ich schließe mich Hartmut von Hentig an, der im Vorwort (V26f) zur Neuauflage seines Buches „Die Schule neu denken“ drei Aspekte von Bildung herausarbeitet:

 

 

  • Die persönliche Bildung, worunter er versteht, was der sich bildende Mensch aus sich zu machen versucht. Hierzu zählt er das Pflegen von Erinnerungen, das Aufstellen von Regeln, die Beschäftigung mit musischen Dingen.
  • Die praktische Bildung, d. h. das Wissen und die Fertigkeiten, die es einem ermöglichen, sich in der Welt zu orientieren und in einer arbeitsteiligen Gesellschaft zu überleben. Dies ist wohl am ehesten das, was z. B. durch die Zentralen Prüfungen getestet wurde.
  • Die politische Bildung, das was es uns erlaubt, gesittet und friedlich und in Freiheit miteinander umzugehen. Diese Bildung ist es, die zur Kenntnis und zur Einhaltung von Rechten und Pflichten führt, die zur Verteidigung der Freiheit und der Achtung von Ordnung und Anstand befähigt.


Vor einem so erweiterten Bildungsbegriff wird deutlich, dass die Zentralen Prüfungen und auch das Gros der in Schulen üblichen Mittel der Leistungsfeststellung nicht ausreichen, um zu ergründen, inwieweit ihr heute  als gebildet gelten dürft. Ich habe eben schon „Abi on stage“ angesprochen. Ein Vergleich schulischer Wirklichkeit mit einer Castingshow scheint mir interessant: Während bei diesen Shows die „Performance“ beurteilt wird oder sich die angehenden Modells auffordern lassen müssen „mehr Drama, Baby“, wurde in diesem Jahr erstmalig euer Arbeits- und Sozialverhalten beurteilt und auch auf dem Abschlusszeugnis ausgewiesen. Während es nun relativ leicht ist, zu beurteilen, ob ein angehender Jungstar den Ton treffen oder halten kann und ob seine Tanzschritte zur Musik passen, ist es ungleich schwieriger, aus einer normalen Unterrichtssituation heraus zu Fragen wie

  • Übernahme von persönlicher Verantwortung, auch bei Misserfolgen
  • Fähigkeit zur Trennung zwischen Person und Sache
  • Förderung eines positiven Gruppenklimas

(um nur einige Aspekte zu nennen) eine Meinung zu bilden und diese dann in einer Note auszudrücken. Ob daher die Noten in jedem einzelnen Fall das widerspiegeln, was die konkrete Person einer Schülerin oder  eines Schüler ausmacht, das sei dahingestellt. Entscheidender für mich ist, dass sich die Lehrerinnen und Lehrer dieser Schule die Aufgabe nicht leicht gemacht haben, dass vielmehr um jede einzelne Note gerungen wurde und dass versucht wurde, jedem Einzelnen von euch gerecht zu werden.

Damit wird dann auch ein entscheidender Unterschied zwischen euch hier an der ALG und den Akteuren bei Castingshows deutlich: Dort geht es ausschließlich um Selektion, denn schließlich kann nur einer der Superstar werden, nur eine ist Deutschlands nächstes Topmodell. Der Druck, der dabei auf die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ausgeübt wird, ist immens. Das System Schule und hier eben auch in besonderer Weise unsere Schule setzt dagegen auf die individuelle Förderung jedes Einzelnen, damit jede Schülerin und jeder Schüler das in ihrem/  seinem Rahmen mögliche optimale Ergebnis erreichen kann. Es zeichnet unsere Schule aus, in welcher Weise die Klassenlehrerinnen und Klassenlehrer die ihnen anvertrauten Schülerinnen und Schüler betreuen.
Ziel dieser Betreuung ist es bzw. war es, euch mehr und mehr in die Selbständigkeit zu führen. Jede und jeder von euch wird selbst am besten beurteilen können, in wie weit ihr heute, am Tag eurer Schulentlassung, diesen Zielen nahe gekommen seid. Am Ende meiner Rede möchte ich euch einladen, nicht nachzulassen in dem Bemühen um persönliche Reifung und Vervollkommnung. Lasst euch von Hindernissen und Fehlschlägen nicht entmutigen. Bleibt am Ball!

Benjamin Franklin soll gesagt haben1: „Haben Sie schon einmal einen Steinmetzen bei der Arbeit beobachtet? Er schlägt vielleicht hundertmal auf die gleiche Stelle, ohne dass auch nur der kleinste Riss sichtbar würde.  Aber dann, beim hundertundersten Schlag, springt der Stein plötzlich entzwei. Es ist jedoch nicht dieser eine Schlag, der den Erfolg bringt, sondern die hundert, die ihm vorhergingen.“

Meine besten Wünsche begleiten euch!

1 Zitiert nach S. 116 aus: Willi Hoffsümmer – Kurzgeschichten 1, Mainz, 1981.