Skip to main content

Baum der Erinnerung

Rede von Herrn Steffens zur Einweihung "Baum der Erinnerung" am 16.07.2011:

Sehr geehrte Damen und Herren,
verehrte Kolleginnen und Kollegen,
liebe Schülerinnen und Schüler.

Als unsere Schule vor nunmehr 20 Jahren gegründet wurde, war die Zahl der Lernenden und Lehrenden überschaubar, fast familiär zu nennen. Seitdem sind wir rasch und stetig gewachsen. Viele Schülerinnen und Schüler haben ihre schulische Laufbahn bei uns absolviert, haben ihre Abschlüsse gemacht und wurden dann von uns leichten  oder schweren Herzens in das außerschulische Leben entlassen.

Nicht viel anders war es im Kollegium; auch dort wurde zahlenmäßig deutlich zugelegt und auch hier kam es im Laufe der letzten 20 Jahre immer wieder zu Verabschiedungen und Begrüßungen neuer Kolleginnen und Kollegen.

Nun ist es aus meiner Sicht eine Besonderheit unserer Schule, dass viele unserer ehemaligen Schüler weiterhin einen sehr engen Kontakt zu ihrer alten Schule und ihren ehemaligen Lehrern pflegen. Das ist, wie ich aus eigener Erfahrung weiß nicht selbstverständlich und zeigt, dass ein Band zwischen Lehrern und Schülern geflochten wurde, das durchaus, auch über die Schulzeit hinaus, Bestand hat.

Bei einigen Schülern und Kollegen wurde dieses Band leider viel zu früh zerrissen. Durch Krankheiten und schreckliche Unfälle schieden nunmehr 12 Mitglieder unserer Schulgemeinschaft aus dem Leben, nicht aber aus unseren  Gedanken und unseren Herzen.

Existentielle Ereignisse wie diese sind schwer zu verkraften. Einen vertrauten, lieb gewonnenen Menschen endgültig zu verlieren stellt einen Lebenseinschnitt dar, der uns nicht selten in eine tiefe Lebenskrise stürzt, die uns verändert und meist nachhaltig prägt.

Häufig haben wir deshalb über Möglichkeiten des Erinnerns, des Trauerns und des Wieder-Hoffnung-Schöpfens nachgedacht, denn: Die verstorbenen Schüler und Päda-gogen sollten nicht vergessen werden, das Andenken an sie sollte sich nicht verflüchtigen.Daher erschien es uns wichtig, ein Zeichen zu finden, das uns an die Menschen erinnert, die mit unserer Schule eng verbunden waren und deren Leben viel zu früh beendet wurde.

Einen Gegenstand, der uns an jemanden erinnert, der viel zu früh starb und der seine Träume nicht mehr leben konnte, haben wir bereits. Es ist die Puppe des kleinen jüdischen Mädchens Anita Lichtenstein, die sie ihrer besten Freundin in der Hoffnung anvertraute, sie später wieder von ihr in ihre Arme nehmen zu können.

Daher suchten wir nach einem weiteren Zeichen, einem Symbol dafür, dass die Erinnerung an die Verstorbenen, die einen Teil ihres Lebens hier verbracht und unsere Schule mit gestaltet und geprägt haben, eben nicht verblasst, aber auch nach einem Zeichen für die zurückgebliebene Eltern, Geschwister und Freunde, damit diese  wissen, dass sie nicht alleine sind mit Ihrer Trauer und ihrem Schmerz und schließlich nach einem Zeichen, das die Schulgemeinschaft im Wissen um die Vergänglichkeit dem Leben zugewandt sein lässt.

Das Zeichen sollte auch Anlass dafür bieten, über die Verstorbenen zu sprechen, sich an lustige Erlebnisse und schöne Momente zu erinnern, sodass auch die Verstorbenen stets ein Teil der Schulgemeinschaft bleiben.
Bei der Suche nach einem solchen Zeichen wurden wir sehr professionell begleitet von einem Mann, dem mein besonderer Dank gilt. Herr Thelen hat mit sehr viel Einfühlungsvermögen, Können und künstlerischem Engagement unseren Wünschen einen konkreten Ausdruck verliehen. Ihnen, Herr Thelen, sei hier herzlich gedankt!
Entstanden ist ein stilisierter Baum als Symbol des Lebens. Jeder Ast und jeder Zweig steht für das Wissen, dass alles Leben endlich ist und auch, dass aus dem Tod neues Leben erwächst. Und so wie sich die Äste des Baumes miteinander im Wind bewegen, einander berühren, gegeneinander stoßen, Blätter hervorbringen und wieder verlieren, ein Teil des einen Baumes sind und sein Aussehen mitbestimmen, so bilden auch wir Menschen eine miteinander verbundene Gemeinschaft, in der jedes Glied nur ein Teil des Ganzen ist, wo jeder Mensch seinen Platz hat, an dem er eine für ihn bestimmte Zeit wirkt, sich entwickelt und entfaltet, im Großen wie im Kleinen. Wenn uns das bewusst ist, dann erkennen wir, dass unser Leben aus einem vielfältigen Miteinander besteht, in dem jeder Mensch geprägt wird durch seine Beziehungen zu anderen Menschen und dass deshalb jede Beziehung ihren besonderen Wert hat, auch über den Tod hinaus.

Die bunten Glasscheiben stehen symbolhaft dafür, dass diese Verstorbenen unser Leben erhellt und bunter gemacht haben und dass sie nicht vergessen werden. Sie stehen auch für die Hoffnung, dass die Trauer das Leben der Verbliebenen nicht für immer dunkel bleiben lässt.

Für jeden Verstorbenen wurde eine Erinnerungstafel in den Baum gehängt. Dort verbleibt sie dauerhaft als Zeichen, dass die darauf Genannten, Teil der Gemeinschaft der Anita-Lichtenstein-Gesamtschule waren und immer bleiben werden.

Karl-Gerd Steffens