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Gedenken an die Pogromnacht

Rede des Schulleiters, Herrn LGED Böken, zum Gedenken an die Pogromnacht 1938 am 09.11.2010

Liebe Schülerinnen und Schüler,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

als ich am 19. September zusammen mit Herrn Scheufen unsere Freunde aus Israel hier in unserer Schule begrüßt habe, habe ich u.a. gesagt:
“Our two nations have been linked forever in a unique way. Our history reminds us of our responsibility that our nations may only meet in peace, and the name of our school reminds us of this fact every day.”

Ich hoffe, dass Euer Englisch so gut ist, dass Ihr diese Aussage verstanden habt. Was sie ausdrücken soll ist, dass es zwischen Deutschen und Israelis durch die gemeinsame Geschichte eine einzigartige Verbindung gibt, die wir uns alle immer wieder vergegenwärtigen müssen. In diesen Tagen vor 72 Jahren, im November 1938 schaukelte sich die antisemitische Stimmung in Deutschland immer weiter hoch.

Die nationalsozialistischen Machthaber ließen keine Gelegenheit aus, die jüdischen Mitbürger als Generalsündenböcke bloßzustellen. Während einer Gedenkfeier anlässlich des Hitler-Putsches vom 09.11.1923 hielt der  damalige Reichspropagandaminister Joseph Goebbels in München eine Rede, in der er zum Ausdruck brachte, dass mit großen Aktionen des Volkszorns gegen die jüdischen Mitbürger zu rechnen sei. Er meinte, dass  die Machthaber solche Aktionen zwar nicht organisieren, jedoch diese dort, wo sie entstünden, auch nicht behindern würden. Alle Gauleiter, die diese Worte damals gehört hatten, hatten die Botschaft zwischen den Zeilen verstanden. Und so kam es in der folgenden Nacht vom 09. auf den 10. November 1938 überall in Deutschland zu Aktionen gegen jüdische Mitbürger, deren Eigentum sowie deren religiöse Stätten wie Synagogen und Friedhöfe. Fast 100 jüdische Mitbürger verloren in dieser Nacht ihr Leben. Auch hier Gedenken an die Pogromnacht 1938 am 09.11.10 bei uns in Geilenkirchen wurde die Synagoge in dieser Pogromnacht niedergebrannt, wurden Geschäfte jüdischer Mitbürger zerstört, wurde der jüdische Friedhof geschändet.

Der am Synagogenplatz zur Erinnerung errichtete Gedenkstein wurde vor wenigen Wochen im August 2010 gewaltsam zerstört, was Euch deutlich zeigt, dass solche nationalsozialistische Tendenzen nicht nur  Vergangenheit sind. Der Name unserer Schule ist für jeden von uns Verpflichtung, jeden und jeden Tag dafür einzustehen, dass sich ähnliche Aktionen gegen Andere nicht wiederholen. Auch unsere Namensgeberin Anita Lichtenstein wurde nur wenige Jahre später von den Schergen des Nazi-Regimes im Konzentrationslager ermordet. In diesem Zusammenhang ist es mir wichtig zu betonen, dass wir alle an dem, was in den furchtbaren Jahren des Nationalsozialismus in deutschem Namen geschehen ist, nicht schuld sind. Wir alle machen uns allerdings mitschuldig, wenn wir die Erinnerung an das, was damals geschehen ist, nicht wach halten, damit Vergleichbares nie mehr wieder passiert; und glaubt mir, das kann jeder von uns tagtäglich tun! Schaut nicht weg, wenn Minderheiten diskriminiert werden, macht das auch hier in der Schule, wenn Ihr solche Tendenzen bemerkt!

So werden wir heute in Erinnerung an das furchtbare Geschehen traditionsgemäß eine kleine Gedenkfeier auf dem jüdischen Friedhof in Geilenkirchen durchführen. Auch diese gute Tradition steht in diesem Jahr unter dem zusätzlichen Thema: „20 Jahre Anita-Lichtenstein-Gesamtschule“. Um Euch alle aber zuvor die schlimme Zeit der Jahre des Nationalsozialismus in Deutschland eindrucksvoll vor Augen zu führen, haben wir uns in diesem Jahr eine kleine Erweiterung des bisherigen Programms überlegt. Wir werden mit dem Film „Der Junge im gestreiften Pyjama“ beginnen. Der Autor, John Boyne, beschreibt die Erlebnisse des achtjährigen  Bruno, der als Sohn eines Offiziers im Dritten Reich zusammen mit seiner Familie in die Nähe eines Vernichtungslagers zieht, weil sein Vater dort Aufseher wird. Auf seinen verbotenen Streifzügen durch die nahen  Wälder trifft er am Zaun des Lagers auf den gleichaltrigen Shmuel. Zwischen den beiden Jungen entsteht eine enge, aber gefährliche Freundschaft, die die schützende Kindheit Brunos letztlich enden lässt.

Dieser Film, im vergangenen Jahr Eröffnungsfilm auf dem jüdischen Filmfestival in Berlin, beschreibt die Schrecken des dunkelsten Kapitels der deutschen Geschichte, aber zugleich auch die wahre Bedeutung des  Begriffs „Freundschaft“ und die Macht der Hoffnung. Im Anschluss an den Film werden wir Euch Gelegenheit geben, Fragen zum Film bzw. zu den damaligen Ereignissen zu stellen. Anschließend werden wir uns dann gemeinsam auf den Weg zum jüdischen Friedhof machen. Ich möchte mit dem Wort schließen, welches unsere israelischen Freunde sehr bedeutungsvoll sowohl als Begrüßungsformel als auch als Wort für „Frieden“ verwenden: Shalom!

Dabei denke ich an die Worte von Bundespräsident a.D. Johannes Rau, der im November 2003 u.a. sagte: „Die jungen Menschen von heute werden eines Tages bestimmen, welchen Weg die deutsch-israelischen Beziehungen in der Zukunft nehmen werden.“