Skip to main content

Ausstellungseröffnung "Der Weg zur Deutschen Einheit"

Rede des Schulleiters, Herrn LGED Böken, anlässlich der Ausstellungseröffnung am 27.09.2015:

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
liebe Eltern, liebe Schülerinnen und Schüler,
verehrte Gäste,

Ihnen und euch allen ein herzliches Willkommen hier in der Anita-Lichtenstein-Gesamtschule. Herzlichen Dank an unser kleines Ensemble unter der Leitung meiner Kollegin Maria Slagboom, welches uns mit „Freiheit“ von Marius Müller-Westernhagen in unser heutiges Thema eingestimmt hat! Ich denke, dass ich in Ihrem Sinne spreche, wenn ich sage, dass man nicht passender hätte beginnen können!

Im Herbst 1989 formierte sich in der damaligen DDR der Widerstand gegen das SED-Regime immer deutlicher, es begann der Prozess, der im Oktober 1990 mit der Wiedererlangung der Deutschen Einheit endete. So jedenfalls wird es sehr häufig, für meine Begriffe ein wenig die Geschichte verfälschend, in Kurzform dargestellt.

Aus meiner Sicht begann der Prozess zur Wiedererlangung der Deutschen Einheit im Jahre 1949, als sich, um sich mit dem Vokabular der Teilungszeit auszudrücken, „hüben“ und „drüben“ zwei deutsche Staaten mit diametral unterschiedlichen Gesellschaftsordnungen auf den Nachkriegsweg machten. So hatten beide deutsche Staaten in ihren Nationalhymnen die Forderung nach der Einheit besungen, einzig der Weg, diese zu erlangen und die Bedingungen, unter denen diese erlangt werden sollte, wurden dies- und jenseits der damaligen Zonengrenze unterschiedlich gesehen. Wieviel in den damaligen politischen Reden über die deutsche Einheit wirklich ernst gemeint war und wieviel nur Phrasen waren, lässt sich aus heutiger Perspektive wohl nur noch spekulativ betrachten.

Vergessen wir nicht den Arbeiteraufstand in der damaligen DDR am 17. Juni 1953, um gegen die Normenerhöhung und für eine Wiedervereinigung zu demonstrieren. Als Jugendlicher habe ich den 17. Juni als den „Tag der Deutschen Einheit“ erlebt, noch heute erinnere ich mich in jedem Jahr am 17. Juni an diese Phase der deutsch-deutschen Geschichte.

Mit dem Mauerbau am 13. August 1961 wurden jedoch alle Spekulationen auf eine zeitnah erreichbare Wiedervereinigung faktisch zunichte gemacht, die DDR nur konsequent fortan massiv an einer staatlichen Anerkennung durch die damalige Bundesrepublik interessiert.

In dieser Zeit habe ich meine Kindheit verbracht, als Jugendlicher war die Existenz der beiden deutschen Staaten für mich Fakt, auch wenn die formale Anerkennung der DDR nicht erfolgte. Ohne direkte Verwandte in der DDR waren diese Teile Deutschlands für mich wesentlich weiter weg, als andere Länder und irgendwie mit dem düsteren Schatten einer Sowjetunion behangen, die im Kommunismus das allein heilbringende System sah, und die uns als das Böse schlechthin verkauft wurde.

In einer Gruppe von Studentinnen und Studenten haben wir dann den Weg über die innerdeutsche Grenze angetreten, um über die Transitstrecke mit dem Auto West-Berlin zu erreichen. Schon diese Grenzübertritte waren speziell. Noch spezieller waren aber dann die Tagesausflüge in den Ostteil der geteilten Stadt, die Grenzübertritte am S-Bahnhof Friedrichstraße, der im Berliner Volksmund noch heute den Namen „Tränenpalast“ trägt.

Wenn ich heute wieder an diese Stellen Berlins komme, kann ich spüren, welche gewaltigen Veränderungen uns allen die Wiedervereinigung unseres Landes gebracht hat. Ich freue mich, dass ich diese historischen Veränderungen so hautnah miterleben konnte. Ich habe mich gefreut, dass meine Kinder ohne eine innerdeutsche Grenze aufwachsen konnten und dass Fahrten nach Thüringen oder Sachsen genauso einfach und auch normal wurden, wie Besuche in den anderen Alt-Bundesländern.

In den Jahren 1989 und 1990 haben unsere ostdeutschen Landsleute einen Prozess vollendet, der m. E. mit vielen kleinen Schritten schon weitaus früher eingeläutet und geebnet worden ist. Ohne die seinerzeit heftigst umstrittene Ostpolitik eines Bundeskanzlers Willy Brandt, ohne den „Wandel durch Annäherung“, um mit den Worten des kürzlich verstorbenen Egon Bahr zu sprechen, hätte sich das Verhältnis zwischen der Bundesrepublik und der damaligen UdSSR m. E. nicht so entwickelt, dass sich Bundeskanzler Helmut Kohl und Generalsekretär Gorbatschow später so freundschaftlich und herzlich begegnen konnten. Dass der Letztgenannte mit seiner Glasnost-Politik seinen entscheidenden Beitrag dazu erbracht hat, dass unsere Einheit wahr werden konnte, wird niemand bestreiten wollen. In der Zeit nach 1990 und besonders in den Jahren unmittelbar vor dem Beginn der Ukraine-Krise hätte ich mir ähnlich freundschaftliche Dialoge auf den politischen Führungsebenen gewünscht.

Alle, die die furchtbaren Flüchtlingsbilder aus den besetzten Botschaften 1989 vor Augen haben, alle, die die gleichzeitig abgesetzten absurden Meldungen der „Aktuellen Kamera“ des DDR-Fernsehens vor den Augen und in den Ohren haben, werden bestätigen, dass die Jahre 1989 und 1990 eine politische Eigendynamik hatten, die seither nicht mehr in dieser Intensität spürbar war.

Dass wir nun mittlerweile schon auf 25 Jahre Wiedervereinigung zurückschauen dürfen, kann ich eigentlich gar nicht wirklich glauben, bedeutet es doch zugleich auch, dass ich 25 Jahre älter geworden bin, ohne das wirklich zu realisieren! Aber der Blick auf den Kalender trügt nicht!

Anlässlich dieser spannenden Jahre 1989 und 1990 wurde eine außergewöhnliche Ausstellung zusammengestellt, die wir hier heute eröffnen können und die bis zum diesjährigen Tag der Deutschen Einheit besucht werden kann. Wir freuen uns sehr, dass wir diese Ausstellung genau in der Woche vor dem Tag der Einheit im Rahmen des 25. Jubiläumsjahres der Anita-Lichtenstein-Gesamtschule eröffnen können, es schlägt auch den Bogen zum Jubiläum der Schule!

Angesichts der Flüchtlingsbilder aus den Jahren 1989 und 1990 und die damit verbundene Freude über die 25 Jahre der Einheit sollten wir aber auch die aktuellen Flüchtlingsbilder nicht ausblenden. So hat mich vor wenigen Tagen eine Meldung sehr bewegt: Ein damals aus Ostberlin geflohenes Ehepaar, welches nach der Einheit wieder zurück in den Ostteil Berlins gegangen ist, ist in das Lager Friedland gefahren, wo es selbst nach seiner Flucht untergebracht war, um dort eine syrische Familie abzuholen, die dann in einer Berliner Wohnung des Paares untergebracht wurde.

Allen, die am Zustandekommen der Ausstellung und den Vorbereitungen für die Ausstellungswoche ihren Beitrag geleistet haben, sei an dieser Stelle herzlich gedankt. Allen voran gilt mein Dank und mein besonderer Gruß unserem Bundestagsabgeordneten Norbert Spinrath, der maßgeblich dazu beigetragen hat, dass wir diese Ausstellung hier heute präsentieren können. Lieber Norbert, dass du heute trotz deines gestrigen Geburtstages, deiner letztwöchigen Grippe mit Sitzungswoche in Berlin und deiner vielen weiteren Termine hier bei uns bist und auch zu uns sprichst, schätzen wir sehr! Dank an unser Briefmarkenteam um meinen Kollegen Ronny Hennings für die Bereicherung der Ausstellung. Besonderer Dank gilt unserem Förderverein, der den anschließenden Umtrunk gesponsert hat sowie dem Mensateam für die logistische Unterstützung!

Schließen möchte ich mit den Worten des damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker anlässlich der Wiedervereinigungsfeier am 03. Oktober 1990:

„Aus ganzem Herzen empfinden wir Dankbarkeit und Freude - und zugleich unsere große und ernste Verpflichtung. Die Geschichte in Europa und in Deutschland bietet uns jetzt eine Chance, wie es sie bisher nicht gab. Wir erleben eine der sehr seltenen historischen Phasen, in denen wirklich etwas zum Guten verändert werden kann. Lassen Sie uns keinen Augenblick vergessen, was dies für uns bedeutet. (…)

Zum ersten Mal bilden wir Deutschen keinen Streitpunkt auf der europäischen Tagesordnung. Unsere Einheit wurde niemandem aufgezwungen, sondern friedlich vereinbart. Sie ist Teil eines gesamteuropäischen geschichtlichen Prozesses, der die Freiheit der Völker und eine neue Friedensordnung unseres Kontinents zum Ziel hat. Diesem Ziel wollen wir Deutschen dienen. Ihm ist unsere Einheit gewidmet.

Wir haben jetzt einen Staat, den wir selbst nicht mehr als provisorisch ansehen und dessen Identität und Integrität von unseren Nachbarn nicht mehr bestritten wird. Am heutigen Tag findet die vereinte deutsche Nation ihren anerkannten Platz in Europa. (…)

Die Hoffnung auf Freiheit und auf Überwindung der Teilung in Europa, in Deutschland und zumal in Berlin war in der Nachkriegszeit nie untergegangen. Und doch hat kein Mensch die Vorstellungskraft besessen, den Gang der Ereignisse vorauszusehen. So erleben wir den heutigen Tag als Beschenkte. Die Geschichte hat es dieses Mal gut mit uns Deutschen gemeint. Umso mehr haben wir Grund zur gewissenhaften Selbstbesinnung.“

Ihnen allen herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!