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Abiturfeier 16.06.2000

Rede des Schulleiters anlässlich der ersten Abiturfeier am 16.06.2000

Ich möchte Sie alle ganz herzlich zur ersten Abiturfeier der Anita-Lichtenstein-Gesamtschule begrüßen. Vor neun Jahren habe ich zur Feier der Eröffnung dieser Schule gesagt: "Die Geburtswehen werden spätestens dann vergessen sein, wenn hier an dieser Stelle die erste Abiturfeier stattfindet."

Mit unserem ersten Abiturjahrgang, den wir heute feiern wollen, ist es nun soweit, und wir können mit Stolz sagen, dass nicht nur Sie, liebe Abiturientinnen und Abiturienten, einen langen und manchmal auch schmerzhaften Bildungsprozess mit dem Erreichen des Abiturs erfolgreich abgeschlossen haben, sondern auch dass wir als Schule mit diesem ersten Abiturjahrgang den Vollausbau erreicht und damit das Ende eines langen Geburtsvorgangs/-prozesses erreicht haben. Sie, liebe Abiturienten und Abiturientinnen, haben für das Ende Ihrer Schulzeit das Motto "mission impossible" gewählt - man kann eine Rakete und das Motto mitten unter uns sehen. Dass diese Mission am Ende überhaupt nicht unmöglich, also keine mission impossible war, haben Sie selbst bewiesen. Damit, dass wir alle hier und heute versammelt sind, wird aber auch noch etwas anderes bewiesen, was auch manchmal wie eine mission impossible aussah - und deshalb übernehme ich Ihr Motto dankbar: Ich meine den Erfolg und das Bestehen dieser Schule.

Das Geheimnis dieses Erfolges waren die vielen Triebwerke, die von der Gründung an von Jahr zu Jahr verstärkt worden sind, die vielen Förderer und Freunde, die diese Mission zu einer mission possible gemacht haben. So muss diese Abiturrede im Kern auch eine Dankesrede sein für all die Förderer und Freunde, die unsere Rakete nicht haben abstürzen lassen, sondern Ihr einen sicheren Flug beschert haben.Diese Freunde, Förderer und Wegbegleiter wird es hoffentlich auch zukünftig geben. Exemplarisch nenne ich hier den Förderverein mit seiner Vorsitzenden, Frau Haas, und dem Geschäftsführer, Herrn Sontopski, die engagierten Eltern in den Pflegschaften, an der Spitze den Schulpflegschaftsvorsitzenden, Herrn Dr. Simons, die Arbeitsgemeinschaften, die offenen Angeboten und Projekte. Da müssen genannt werden, die Schar der sogenannten nicht pädagogischen Mitarbeiter, das Küchenpersonal, Frau Carboni und Frau Jansen, die Hausmeister, Herr Kollar, Herr Fechtel, Herr Riedel und Herr Filips. Nicht zu vergessen das Sekretariat mit Frau von St. Vith, Frau Kretschmar und Frau Quasten. Was sagte ich eben, nicht-pädagogische Mitarbeiter, eigentlich ein Unwort, denn in diesem Personenkreis ist soviel kostbare, helfende und menschliche Tätigkeit vereint, dass unsere gesamte Schule nur davon profitieren konnte. Aber schließlich, und zwar last not least, möchte ich hier die Lehrerinnen und Lehrer nennen, die in einer beachtenswerten Teamleistung und mit bewundernswerter Energie entscheidend zum Erfolg und damit zum Erreichen des Abiturs beigetragen haben - und ich beziehe hier auch ganz bewusst die Kolleginnen und Kollegen mit ein, die nur indirekt mit dem Abitur beschäftigt waren. An die Kolleginnen und Kollegen um den Beratungslehrer Dieter Langerbeins und Abteilungsleiter Guido Beisner möchte ich das Lob und die Anerkennung des Vorsitzenden des ZAA´s LRSD Goldbach weitergeben:
Die Durchführung und die Inhalte dieses Abiturs waren auf einem hohen Niveau angesiedelt. Sie brauchen in keiner Weise den Vergleich mit anderen Schulen zu scheuen! Bitte sagen Sie das den Kollegen und Kolleginnen, sie können wegen dieser Leistung stolz sein! Das habe ich nun getan, schließe mich an und sage Dank, sie alle haben sich um diese Schule verdient gemacht.

 


In gleicher Weise sage ich Ihnen, liebe Abiturientinnen und Abiturienten, dass Herr Goldbach und ich von Ihrem hohen Niveau sehr beeindruckt waren. Sie können mit Recht stolz auf das bestandene Abitur sein! Und sicherlich wäre all dies nicht möglich gewesen, wenn am Anfang nicht eine Bürgerinitiative durch Frau Ortenstein ins Leben gerufen, den Anstoß zur Gründung dieser Schule geliefert hätte. Letztlich führte das zum Beschluss des Rates vom 13.06.1990. So muss auch die beachtliche Leistung der Stadt Geilenkirchen genannt werden, die diese Schule mit den Neubauten errichten ließ. Auch hier waren immer wieder Menschen zu finden, die den Weg bis hier hin möglich machten. So möchte ich Ihnen, Herrn Bürgermeister Beemelmanns, mit Ihren Mitarbeitern ganz herzlich danken. Das schönste Dankeschön dieser Schulgemeinde für Sie und die Stadt Geilenkirchen wird aber ebenfalls in der Tatsache bestehen, dass die Stadt Geilenkirchen mit dem ersten Abitur an dieser Schule eine in städtischer Trägerschaft verankerte Oberstufe besitzt. Es ist Wirklichkeit geworden, was ich damals in meiner Rede zur Einweihung der Schule gesagt habe:
Die Entscheidung gerade für diese Schulform wird künftig den Schulstandort Geilenkirchen nicht nur sichern, sondern auch noch attraktiver und vielfältiger machen. Diese Schule hat und wird für Geilenkirchen positive Spuren hinterlassen und das Leben in dieser Stadt und Region bereichern. Auch hier nenne ich nur exemplarisch die Brücken, die diese Schule nach Israel, Estland, Rumänien und Schottland geschlagen hat, an Großveranstaltungen wie Bike up, Internationaler Fledermaus Kongress, Abschlussveranstaltungen, z.B. EWV. Die Bitte, diese Schule entsprechend weiter zu fördern, ihr durch eine entsprechende verbesserte Aula zu helfen, davon profitieren auch die Stadt und das kulturelle Leben dieser Stadt und des Stadtteils. Ich bitte Sie, liebe Abiturientinnen und Abiturienten um Verständnis, dass bei dem ersten Abitur der Aspekt des Rückblicks und Danksagens mehr im Vordergrund stand als die eigentliche Zentrale der Abiturfeier, die Abiturientinnen und Abiturienten. War der erste Teil für mich als Schulleiter schon schwierig, begebe ich mich nun auf einen Teil, der für mich auch neu ist, einen Gedanken im Sinne einer Abiturrede Ihnen zu vermitteln, der, wie Böll es einmal gesagt hat, "bedeutungsschwanger" ist. Bei einem Unterrichtsbesuch und bei einer mündlichen Prüfung im Rahmen des Abiturs erlebte ich, wie sie sich mit Nathans Ringparabel intensiv beschäftigen durften. Ich glaube, dass die Deutung von Wahrheit und dem daraus abgeleiteten Begriffs der Toleranz, so wie Lessing sie in der Ringparabel angelegt hat, lebenslängliche Bedeutung haben kann oder besser gesagt sollte. Ich möchte kurz skizzieren, welchen Hintergrund die eigentliche Ringparabel hat.
Sultan Saladin, völlig verarmt, weil das Vermögen mit vollen Händen austeilend und an Bedürftige verschenkend, muss unbedingt an Geld kommen, um den Krieg gegen die Christen weiter finanzieren zu können. Seine listige Schwester Sittah heckt dazu den Plan aus, den reichen Juden Nathan mit Hilfe einer Fangfrage in die Enge zu treiben und anschließend auszunehmen. Wie Nathans Antwort auf die Frage, welche der drei
Religionen die einzig wahre sei, auch ausfällt, sie kann nur zu seinem Schaden sein. Antwortet er, das Judentum sei die einzig wahre Religion, beleidigt er damit die Religion des Moslems Saladin, sagt er der Islam sei die einzig wahre Religion, erweist er sich als Lügner, weil er dann nicht erklären kann, warum er noch Jude ist. Im Theaterstück lässt Lessing den Juden Nathan das Problem in Form der Ringparabel lösen. Die Lösung findet Nathan, ganz Pädagoge, in einem literarischen Bild, bei dem es eigentlich nichts zu erklären gibt, denn, so Nathan: "Das kann mich retten! Ncht die Kinder bloß, speist man mt Märchen ab." (373-374) Nathan erzählt dem zunächst verärgerten, dann aber immer überraschteren Saladin, dass einst ein Mann im Osten einen Ring von unschätzbarem Wert gehabt habe, der die Fähigkeit besaß, vor den Menschen beliebt zu machen. Diesen Ring habe der Vater immer nur an den Sohn weitergegeben, den er am meisten geliebt habe. Bis der Ring auf einen Vater gekommen sei, der seine drei Söhne alle gleich lieb gehabt habe, und der darum Kopien des echten Ringes anfertigen ließ, um jedem einen Ring schenken zu können. Die Söhne natürlich streiten sich beim Tod des Vaters sofort darum, wer denn nun den echten Ring bekommen hat, sie ziehen vor einen Richter und tragen ihm ihr Problem vor.

- Soweit zunächst die Erzählung - Saladin hat natürlich sofort erkannt, dass mit den Söhnen die drei Religionen gemeint sind, die sich alle um das wahre Erbe, also den Anspruch, die einzig wahre Religion zu sein, streiten - und wirft sofort ein, dass doch die Religionen sehr wohl zu unterscheiden seien, von der Kleidung bis zu den Speisen. . Nathan darauf: Und nur von Seien ihrer Gründe nicht! Denn gründen alle sch nicht auf Geschichte? Geschrieben oder überliefert. Und Geschichte muss doch wohl allein auf Treu und Glauben angenommen werden. Nathan macht Saladin damit klar, dass sich kein Mensch ausgesucht hat, wo und in welcher Religion, und wir dürfen hier durchaus ergänzen Kultur, Familie, Staat, er geboren wird. Und niemand kann, so Nathan, den eigenen Glauben, die eigenen Lebensgewohnheiten und Werte, in die er hineingeboren wird, begründen - und zwar einfach deshalb nicht, weil sie bereits den Grund ausmachen, auf dem man steht - wir sind bereits begründet. Kehren wir noch einmal zurück zum Geschichtchen Nathans: Der Richter weist die Söhne darauf hin, dass er nicht entscheiden kann, welcher der echte Ring ist, weil sich alle drei so ähnlich sehen. Er schlägt ihnen deshalb vor, dass alle drei gemäß ihren Überzeugungen möglichst rechtschaffen und tugendhaft leben sollten, so dass ein anderer Richter in tausenden von Jahren entscheiden könne, wer denn nun den echten Ring gehabt habe. Nathan macht Saladin damit zweierlei klar: Erstens, dass es nicht darauf ankommt, welcher Religionsgemeinschaft jemand angehört, sondern wie er handelt, wie er lebt, ob er ein guter Mensch ist. Und zweitens zeigt er ihm durch dieses Ende, dass eben kein Mensch der Richter sein kann, der entscheiden könnte, was denn die wahre Religion ist. Damit macht er Saladin zum Schluss die Anmaßung, die in dessen Frage steckte, klar: Saladin, wenn du dich fühlst, dieser weisere versprochne Mann zu sein:... Darauf Saladin: Ich Staub? Ich Nichts? O Got! Saladin hat verstanden, dass für einen Menschen eine solche Entscheidung eine Anmaßung sein muss, weil eine solche Entscheidung menschliche Ratio übersteigt: Wer kann schon wissen, was die einzig wahre, von Gott bestimmte Lebensform, Kultur, Religion ist. Das ist überhaupt keine Frage der theoretischen Wahrheit, von wahr und falsch mehr; sondern eine Frage des moralischen Handelns, denn allein in diesem kann sich so etwas wie persönliche Wahrhaftigkeit zeigen. Mit dem Zufall der Geburt ist jedem Menschen die eigene Zufälligkeit sozusagen angeboren - daraus folgen muss zwangsläufig, dass keine zufällige Existenzform die einzig richtige oder wahre sein kann. Daraus wiederum ist jedem Menschen einsichtig zu machen, dass die einzig wahre Haltung gegenüber dem Anderen, dem Fremden, die Toleranz sein muss.


An diese, durch die Ringparabel vermittelte Wahrheit möchte ich sie abschließend erinnern: Wahrheit kann offenbar allein in einem nicht aufhörenden Streben bestehen, kann nur in dem Versuch bestehen, gerecht und tolerant zu handeln, und dieser Versuch ist keiner, der mit dem Ende der Schulzeit bestanden oder vertan wäre. Dieser Versuch bleibt eine Herausforderung. Dass Sie diese Toleranz pflegen und weitertragen, das würde ich Ihnen für die Zukunft wünschen. Damit hätten wir gemeinsam eines unserer Hauptziele, welches bereits in der Namensgebung der Schule formuliert ist, mehr als erreicht. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen, liebe Abiturientinnen und Abiturienten, alles Gute für Ihren zukünftigen Lebensweg, verbunden mit einem herzlichen Glückwunsch für das bestandene Abitur an dieser Schule, der Anita-Lichtenstein-Gesamtschule, Geilenkirchen.