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Abschlussbroschüre im Corona-Jahr 2020

Beitrag des Schulleiter, Herrn LGED Böken, zur Abschlussbroschüre im Corona-Jahr 2020:

Liebe Abiturientinnen und Abiturienten,
liebe Abschlussschülerinnen und Abschlussschüler,

vor allem anderen möchte ich euch allen und euren Eltern zum erreichten Erfolg die herzlichsten Glückwünsche der gesamten Schulleitung der Anita-Lichtenstein-Gesamtschule aussprechen.

Habe ich am Anfang des Schuljahres gedacht, dass wir wegen der noch nicht wieder fertig gestellten Aula ein großes Problem mit der Abitur- und der Abschlussfeier bekommen werden, sollte ich Recht behalten, aber anders als gedacht. Es gibt ein Problem, aber auch mit normaler Aula gäbe es in diesem Jahr leider keine Feiern, wie wir sie gewohnt sind. Wir alle kennen die Redewendung „Am Aschermittwoch ist alles vorbei!“, aber an diesem Aschermittwoch 2020 war wirklich alles vorbei. Schulen dicht, extreme Hygieneregeln, soziale Isolation bzw. neudeutsch „social distancing“, Probleme, bestimmte Hygieneartikel, Mehl, Nudeln oder Hefe zu bekommen, keine Gottesdienste, keine Fußballspiele mit Publikum, usw.. Von heute auf morgen wurde unser doch immer als selbstverständlich und normal empfundener Alltag komplett auf den Kopf gestellt. Und das alles in den wenigen letzten Wochen vor dem geplanten Unterrichtsende vor den anstehenden Abiturprüfungen. Die Kommunikation mit den Lehrerinnen und Lehrern und untereinander musste von jetzt auf gleich auf die digitale umgestellt werden. Plötzlich wurde das so oft gescholtene Internet zur Hauptkommunikationsader. Alles in allem wirklich keine Optimalbedingungen, zumal über eine lange Zeit auch gar nicht klar war, ob und wie eure Prüfungen ablaufen würden.

Eines ist jetzt, wo ihr diese Zeilen lest, sicher! Ihr habt es trotz dieser mehr als misslichen Situation geschafft und könnt euch über den erreichten Schulabschluss freuen. Es ist schade, dass ich euch die Zeugnisse und die Glückwünsche nicht in einer persönlichen Begegnung überreichen kann, aber dieses winzig kleine Virus hat wirklich voll zugeschlagen.

Aber die Corona-Pandemie hat auch Positives bewirkt. Mit jedem Tag der Einschränkungen haben wir mehr und mehr begonnen zu reflektieren, ob unsere Vor-Corona-Lebensweise wirklich die richtige und zukunftsweisende war. Wir haben Qualitäten wiederentdeckt, die den meisten von uns wohl nicht mehr präsent waren. Wir kümmern uns um Nachbarn, die nicht einkaufen dürfen, wir freuen uns über vermeintliche Kleinigkeiten, die wir noch wenige Tage zuvor als selbstverständlich angesehen haben. Dieses kleine Virus hat uns alle und auch unseren Umgang mit den Menschen in unserem Umfeld schnell und hoffentlich dauerhaft verändert.

Ein viel höheres Maß an Solidarität, als noch vor Karneval „normal“ war, war erforderlich, um die letzten Wochen zu schaffen. Die Corona bedingte Zeit des Schulfastens nach den Karnevalstagen bis nach Ostern, und davon bin ich absolut überzeugt, hat euch, uns und letztlich der gesamten Gesellschaft, nein allen Gesellschaften deutlich vor Augen geführt, dass wir uns und unser Tun deutlich tiefer reflektieren müssen. Die Zeit der Kontaktsperren haben uns einerseits belastet, haben uns aber andererseits auch klar gezeigt, dass wir ohne die mittlerweile weit verbreitete und auch häufig gescholtene Digitalisierung noch deutlich schlimmer dagestanden hätten. Darüber hinaus haben wir alle auch Werte wiederentdeckt, die im Zuge der egoistischen Verblendung der Vor-Corona-Zeit leider keine große gesellschaftliche Bedeutung mehr gehabt haben. So hoffe ich, dass von diesen positiven Effekten der Corona-Krise doch die Mehrzahl auch nach der Rückkehr in die Normalität erhalten bleiben.

Dass auch die Schule und das Lernen sich durch diese Zeit erheblich verändert haben, brauche ich nicht explizit zu erwähnen. Ich glaube, dass eine Rückkehr in die Zeit vor Karneval 2020 in den Schulen nicht mehr möglich ist!

So hat Papst Franziskus in seiner Osteransprache im Petersdom auch zutreffend bemerkt, dass diese Zeit die wohl schwerste Bewährungsprobe für die Europäische Union darstellt. Gemeint war auch hier die notwendige Solidarität der Nordländer mit den Südländern. Hier nutzt kein unempathisches Klammern an irgendwelchen Regeln, die zu einer Zeit definiert worden sind, in der man sich eine Pandemie im Stile der gerade erlebten in keiner Weise vorstellen konnte.

Ihr alle habt in diesen Wochen immer wieder neue Informationen über die Abschluss- und Abiturprüfungen erhalten. Umso stolzer könnt ihr alle heute sein, wenn ihr trotz der mehr als ungünstigen Umstände heute das Ergebnis eurer Anstrengungen entgegen nehmen könnt. Insofern geht dieses nun endende Schuljahr sicherlich in die Schulgeschichte ein!

Mit dem heutigen Tag beschließt ihr alle, liebe Abschlussschülerinnen und –schüler und liebe Abiturientinnen und Abiturienten, eine wichtige Etappe auf dem Weg zu eurem Beruf und in ein selbstständiges Leben. Das Zeugnis, das ihr heute erhaltet, attestiert euch das Erreichen wichtiger kognitiver Kompetenzen und fachlicher Lernziele, die für eure weitere berufliche Entwicklung von hoher Wichtigkeit sind. Ich hoffe aber, dass die Jahre in der Anita-Lichtenstein-Gesamtschule noch mehr in euch bewirkt haben. Das besondere Miteinander, welches wir hier versuchen zu leben und zu gestalten, die Erziehung zur Toleranz und zur Verantwortungsbereitschaft, meint weit mehr, als das Erreichen kognitiver Kompetenzen. Ihr alle seid mitverantwortlich für die weitere Entwicklung dieser, unserer Gesellschaft, ihr werdet gebraucht, um sich der weiteren Erstärkung von Nationalismen in Europa und der Welt aktiv entgegenzustellen.

Die politischen Entscheidungen, die weitab von Geilenkirchen getroffen werden, bestimmen auch euer Fortkommen direkt und indirekt. Anfang des Jahres haben wir alle miterleben können, was aus der Zurückhaltung eurer Generation bei der Volksabstimmung über den Brexit im Jahre 2016 nun geworden ist. Die Freizügigkeit der jungen Briten auf dem Weg ins Leben ist direkt deutlich gekappt worden, aber auch für euch alle bedeutet der Brexit, dass ein Studium, eine Ausbildung nicht, wie vor dem Austritt Großbritanniens aus der EU, auch problemlos in London oder Edinburgh aufgenommen werden kann. Der Anfang dieses Jahres hat deutlich gezeigt, dass ihr und eure Generation aktiv am Friedensprojekt Europa mitarbeiten müssen.

In die direkte Nachkriegszeit hineingeboren hatte meine Generation noch die Gelegenheit, von Eltern und Großeltern aus erster Hand zu erfahren, welche furchtbaren Geschehnisse der Krieg, der nun 75 Jahre beendet ist, über unseren Kontinent gebracht hat. Das, was für euch heute selbstverständlich ist, das größte Friedensprojekt der Nachkriegszeit, die Europäische Union, ist nicht selbstverständlich.

Ihr werdet euch erinnern: In den ersten Januartagen eskalierte der Konflikt der USA mit dem Iran so massiv, dass der ehemalige Bundesaußenminister Gabriel die Situation sogar mit der von 1914 verglichen hat. Arbeitet bitte alle mit daran, dass die lange Periode des Friedens in Europa auch noch euren Enkeln vergönnt sein wird. Dass eure Generation ein wiedererstärktes politisches Bewusstsein entwickelt hat, ist durch die Fridays-for-Future-Bewegung mehr als deutlich geworden! Über Jahre hat man sich auf allen Ebenen darüber beklagt, dass die Jugendlichen kein politisches Bewusstsein haben; also sollte man auch nicht schimpfen, wenn ihr jetzt ein solches nicht nur entwickelt, sondern auch deutlich kundtut!

Stellt euch allen Nationalismen deutlich entgegen. Sorgt auf euren weiteren Lebenswegen mit dafür, dass der Name eurer Schule, Anita Lichtenstein, nicht nur ein Etikett war, sondern nehmt diesen Namen als Auftrag für euren weiteren Weg mit. Stellt euch fremdenfeindlichen und antisemitischen Strömungen entgegen, wiederholt nicht die Fehler der Groß- und Urgroßelterngeneration aus den 20er-Jahren des letzten Jahrhunderts.

Ich möchte euch einige Zeilen Martin Niemöllers ans Herz legen, die zum Ausdruck bringen, was ich meine:

„Als die Nazis die Kommunisten holten,
habe ich geschwiegen,
ich war ja kein Kommunist.

Als sie die Sozialdemokraten einsperrten,
habe ich geschwiegen,
ich war ja kein Sozialdemokrat.

Als sie die Gewerkschafter holten,
habe ich geschwiegen,
ich war ja kein Gewerkschafter.

Als sie mich holten,
gab es keinen mehr,
der protestieren konnte.“

Daher meine eindringliche Bitte: Schweigt nicht!

Weil dieses Jahr unter all‘ diesen Aspekten ein sehr besonderes ist, habe ich in diese Broschüre auch eine Geschichte aufgenommen, die vor etlichen Jahres unter dem Titel „Der Europabaum“ von Eva Köberle veröffentlicht worden ist. Diese Geschichte macht m. E. in aller Deutlichkeit klar, auf welch‘ gefährlichem Kurs wir uns alle wieder befinden und wie wichtig die friedvolle Koexistenz mit unseren Nachbarn ist. Nehmt euch bitte die Zeit, diese Geschichte aufmerksam zu lesen!

Liebe Abiturientia, liebe Abschlussschülerinnen und -schüler, auf das mit dem heutigen Tag Erreichte könnt und sollt ihr stolz sein. Die Abiturientia hat den höchstmöglichen Schulabschluss, der in unserem Land vergeben wird, erreicht. Euch allen und euren Familien möchte ich dazu im Namen der gesamten Schulgemeinde der Anita-Lichtenstein-Gesamtschule herzlich gratulieren.

Ich weiß mich mit euch einig, wenn ich euren Eltern und den vielen Lehrerinnen und Lehrern dieser Schule und den von euch vorher besuchten Schulen für die euch gegebene Unterstützung danke!

Feiert diesen heutigen Erfolg so gut, wie es die Corona-Bedingungen zulassen, noch tüchtig im Kreis eurer Familien, ein großer Ball ist ja in diesem Jahr auch nicht möglich!

Mit dem heutigen Tag werden eure Wege in ganz verschiedene Richtungen gehen, sei es in eine berufliche Ausbildung oder in ein Studium, in ein freiwilliges soziales Jahr oder in einen Auslandsaufenthalt. Ihr beginnt heute eine Reise, die hoffentlich noch sehr lange dauert, eine Reise, auf der ihr hoffentlich viele alte und neue Freunde treffen werdet, eine Reise, die euch tagtäglich vor Augen führt, wie spannend das Leben sein kann. Gestattet euch aber auch Stopps auf eurer Reise, haltet an interessanten Stationen inne und nehmt euch Zeit, Situationen zu genießen.

Wir würden uns freuen, wenn ihr auf eurem weiteren Lebensweg vielleicht auch noch einmal einen kleinen Abstecher in eure alte Schule machen würdet!

Mit den besten Wünschen für eure Zukunft

Uwe Böken, LGED
Schulleiter