"Shalom"-Konzert 2011
Rede des Schulleiters, Herrn LGED Böken, zum Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus 27.01.2011
„Ich konnte sehen, wie die Soldaten mit ihren Bajonetten noch mehr Menschen zusammentrieben. Unter ihnen erkannte ich meine Mutter, meinen Bruder und meine Schwester, aber auch noch andere Familienmitglieder. … Ich wollte meiner Mutter zurufen, wollte sie wissen lassen, wo ich war, wollte ihr zeigen, dass es mir gut ging. Aber ich war zu weit weg. Am liebsten wäre ich zu ihr gegangen, aber irgendwie wusste ich, dass ich das nicht durfte. Wenn ich zu ihr ging, würde das, was da unten am Hügel passierte, auch mir passieren. … Nun ja, während all dies geschah, bemerkte ich in der Ferne andere Leute aus dem Dorf. Ich sehe sie so vor mir, wie ich sie damals sah. Sie standen auf den Balkonen ihrer Häuser, wirkten unbeschwert, rauchten und unterhielten sich, manche lachten sogar. Ich wollte, dass sie etwas taten, dass sie dem Ganzen ein Ende setzten, doch sie standen einfach bloß da und sahen zu. Ich begriff nicht, warum sie meiner Mutter, meinem Bruder, meiner Schwester und all den anderen Leuten aus ihrem Dorf nicht halfen. Mir war, als würde ich innerlich verbrennen. … Ich sah wieder meine Mutter. Sie stand mittlerweile am Fuß des Hügels, und ich konnte sehen, dass sie meinen Bruder nur mit Mühe halten konnte. Mir fiel ein, dass ich versprochen hatte, ihn an die Hand zu nehmen. Ich hatte ein schlechtes Gewissen, weil ich meine Mutter im Stich ließ. … Die Soldaten erschossen meine Mutter. Meinen Bruder und meine Schwester erstachen sie mit dem Bajonett. Ich schrie auf, dann biss ich mir in die Hand, um mich selbst am Schreien zu hindern, und dachte immerzu: Keiner darf dich hören, oder du bis als Nächstes dran.“
(aus Mark Kurzem: „Maskottchen“, Scherz-Verlag, 2008, S. 61f)